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unwort-wdr5Alle Jahre wieder verkündet eine selbst­ernannte Jury aus Journalisten und Sprach­­wis­sen­schaft­lern das, was aus ihrer Sicht das „Unwort des Jahres“ gewesen sein soll. Der Pöbel darf Vorschläge einreichen, die Herrschaften entscheiden – altbekannte deutsche Tradition.

Dass es sich nicht um eine unvoreingenommene Analyse der im vergangenen Jahr dominierenden, irreführenden Kampfbegriffe handelt, sondern vielmehr um gezielte politische Meinungsmache aus einer ideologischen Ecke, wird nach der letztjährigen Festlegung auf den Begriff „Lügenpresse“ auch in diesem Jahr einmal mehr deutlich.

Gutmensch

Das Wort „Gutmensch“ hat weder im vergangenen Jahr den öffentlichen Diskurs in besonderer Weise bestimmt, noch ist es sonderlich neu. Tatsächlich handelt es sich um einen sattsam bekannten Kampfbegriff, der unter anderem schon 2011 als weiteres Unwort einen Platz hinter „Döner-Morde“ gekürt wurde. Es handelt sich also bei der diesjährigen Auswahl ganz offensichtlich um eine Verlegenheitsentscheidung. Schaut man sich die eingereichten Vorschläge an, wird schnell deutlich, welche politische Intention hinter der Festlegung von „Gutmensch“ steht.

Die zehn häufigsten Einsendungen insgesamt, die allerdings nicht sämtlich den Kriterien der Jury entsprechen, waren:

Lärmpause[165],
Willkommenskultur[113],
Gutmensch [64],
besorgte Bürger [58],
Grexit [47],
Wir schaffen das! [46],
Flüchtlingskrise [42],
Wirtschaftsflüchtling [33],
Asylgegner/-kritiker/Asylkritik [27]
Griechenlandrettung/Griechenlandhilfe [27]

Die TOP-Nennung des Begriffs „Lärmpause“ dürfte dem regionalen Disput um ein Nachtflugverbot geschuldet sein und hatte im vergangenen Jahr keine bundesweite Bedeutung. Vermutlich hatten betroffene Bürger hier eine Chance gesehen, ihrem Anliegen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, indem sie es zahlreich zum Unwort vorschlugen.

Niemand dürfte bestreiten, dass es der Zustrom von Migranten war, der spätestens seit dem Sommer die Medien und den öffentlichen Diskurs dominierte und mit all seinen Problemen bis heute bestimmt. Warum also wurde kein Vorschlag aus diesem Komplex gewählt?

Willkommenskultur„, „Flüchtlingskrise“ und „Wirtschaftsflüchtling“ sind allesamt aus diesem aktuell wichtigsten politischen Kontext und entsprechen mehr oder weniger den Kriterien, wonach es Worte oder Formulierungen sein sollten, die euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind oder gegen die Humanität, Menschenwürde oder demokratische Prinzipien verstoßen. Wäre „Willkommenskultur“ zum Unwort erklärt worden, viele Rechte hätten Beifall geklatscht.

Willkommenskultur“ ist zwar an sich erst einmal neutral und wertfrei, erscheint aber angesichts von Zäunen, Stacheldraht, massenhaft ertrunkenen oder in LKW erstickten Migranten wie ein Euphemismus. Die Wahl wäre aber von Seiten der Asylkritiker aus einem anderen Grund begrüßt worden: weil dieser Euphemismus aus ihrer Sicht auf einer anderen Ebene nämlich auch die Probleme verschleiert, die eine massenhafte Zuwanderung für die aufnehmende Gesellschaft mit sich bringt.

Flüchtlingskrise“ ist ebenfalls ambivalent und könnte damit in ähnlicher Weise  Wasser auf die Mühlen der Kritiker von Merkels Politik der offenen Grenzen sein, wenn man es zum Unwort des Jahres ernannt hätte. „Krise“ ist zunächst einmal eine eindeutig negativ konnotierte Bezeichnung eines instabilen oder dysfunktionalen Systems. Dass wir im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsstrom seit Monaten eine Krise haben und dass die Menschen, die auf Flucht oder Wanderschaft gehen, sich in einer Krise befinden, ist vollkommen klar, passt aber den „Juroren“ ebenfalls nicht in die politische Agenda, weil man sich komplett lächerlich gemacht hätte, würde man die faktisch herrschende Krise, die in den kommenden Monaten sicherlich noch eskalieren wird, durch diese Wortwahl gleichsam geleugnet hätte. Nicht nur von rechts hätte es dann geheißen: ihr seid nicht ganz bei Trost!

Wirtschaftsflüchtling“ ist für die Jury deshalb problematisch, weil der Begriff zwar aus „linker“ Sicht eine gewisse Berechtigung hat, wenn Menschen aus Gründen kapitalistischer Ausbeutung, Kriegen, Umweltverschmutzung oder sozialer Spaltung die Flucht ergreifen oder auf Wanderschaft gehen, aber auch seine Wahl wäre von Seiten der „Asylkritiker“ leicht angreifbar gewesen, weil es nun mal tatsächlich bei einer Vielzahl der Flüchtlinge wirtschaftliche Ursachen sind, die sie nach Deutschland oder in die EU treiben. Flüchtlinge vom Balkan werden nach aktuellen Zahlen zu mehr als 97% in Deutschland nicht als asylberechtigt anerkannt, sondern kommen, weil sie sich ein wirtschaftlich besseres Leben erhoffen. Gleiches gilt für Jugendliche, die massenhaft aus dem austerisierten Spanien, Portugal oder Griechenland nach Deutschland kamen. Sie sind ganz wertfrei betrachtet „Wirtschaftsflüchtlinge“ und würden das selbst auch kaum anders bezeichnen.

Die Jury war also in dem politischen Dilemma, im brisanten Asyldiskurs nicht denjenigen in die Hände zu spielen, die sie als politische Gegner betrachtet und nicht als gesellschaftliches Korrektiv, das seine berechtigten Interessen vertritt. Deshalb hat man keinen Begriff aus der Asyldebatte zum Unwort erklärt, sondern sich auf einen sattsam bekannten Kampfbegriff geeinigt, den man nun auch gezielt gegen die politischen Gegner einsetzen kann. Das macht den dummen Begriff vom „Gutmenschen“ nicht besser oder schlechter, zeigt aber, welche politischen Motivationen verfolgt werden.

Im WDR5 „Tagesgespräch“ (Download; mp3) wurde einer der „Juroren“, Stephan Hebel, direkt auf den Begriff „Flüchtlingskrise“ angesprochen. Dabei war nicht nur bezeichnend, dass die Anruferin den Begriff kritisierte, weil „Krise“ negativ konnotiert ist und sie sich ein „wertneutraleres“ Wort wie „Flüchtlingsherausforderung“ gewünscht hätte – ein Wording, wie man es aus dem Bundesverteidigungsministerium kennt, wenn es um Krieg geht und man von „Engagement“ schwafelt oder wie es einem totalitären Regime wie in 1984 würdig wäre -, sondern auch die Art, wie Hebel sich herausredete und dann das Thema wechselte, war aufschlussreich.

Sollte es bei der nächsten Wirtschaftskrise auch in Deutschland zu Massenarbeitlosigkeit kommen, werden Hebel und Konsorten wohl er nicht dafür plädieren, von einer Wirtschaftsherausforderung zu schwafeln – aber wer weiß, zumindest die Regierung könnte auf einen solchen Vorschlag zurückkommen.