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Syrien_IS_Flag240In einer exzellenten und besonders lesenswerten Darstellung mit ausführlichen Belegen, zeigt Nafeez Ahmed die wahren Hintergründe des vom Westen und seinen alliierten, sunnitischen Despotien vorangetriebenen Kriegs in Syrien auf. Anders als die deutsche und westliche Lügenpresse nach wie vor behauptet, geht es natürlich nicht um Demokratie und Menschenrechte oder den Sturz eines „Diktators“, sondern um geopolitische und wirtschaftliche Interessen.

Der Krieg in Syrien und seine Flüchtlingsströme werden durch eine mörderische und menschenverachtende Politik befeuert, die von einem moralisch verkommenem Abschaum in den Medien legitimiert und verzerrt wird. Auch wenn Nafeez Ahmed dem Irrtum aufsitzt, die syrische Regierung habe quasi aus purer Bösartigkeit mit der Gewalt begonnen und dies würde die Gewalt der „Aufständischen“ rechtfertigen, so bleibt der bisher beste lückenlose Nachweis, wie und warum der Westen diesen Konflikt jahrelang angeheizt hat und dabei den Islamischen Staat zu dem machte, was er heute ist.

Großer Dank gebührt einmal mehr FritztheCat, der diesen außerordentlich wichtigen Artikel übersetzt hat!


Die NATO beherbergt den Islamischen Staat

Warum Frankreichs beherzter neuer Krieg gegen ISIS ein schlechter Witz ist und eine Beleidigung für die Opfer der Anschläge in Paris.

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19.11.2015

by Nafeez Ahmed                                                 Übersetzung: FritztheCat


Nafeez Mosaddeq Ahmed (1978) ist ein britischer Autor, Journalist, und Referent für inter­nationale Sicherheit. Er ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Politikforschung und Entwicklung (IPRD), einem unabhängigen Think-Tank für die Untersuchung von gewalttätigen Konflikten im Zusammenhang mit der globalen Umwelt-, Energie- und Wirtschaftskrise konzentriert; ein Filmemacher, der „The Crisis of Civilization“ co-produziert und geschrieben und „Grasp the Nettle“ co-produziert hat – beide Filme wurden von Dean Puckett gedreht. Seine wissenschaftliche Arbeit fokussiert auf die systemischen Ursachen der Massengewalt. Er hat an der Abteilung für Internationale Beziehungen, University of Sussex und an der Politik & Geschichts Abteilung der Brunel University Undergraduate- und Postgraduate-Kurse für Theorie der internationalen Beziehungen, Zeitgeschichte, Imperialismus und Globalisierung gelehrt. Er ist ein ehemaliger Umwelt-Blogger für The Guardian. Ahmed hat eine wöchentliche Kolumne im Middle East Eye, einem in London ansässigen Nachrichtenportal des Ex-Guardian Leitartikler David Hearst und ist ‚System Shift‘-Kolumnist für VICE’s Motherboard. Ahmed ist Gründer und Herausgeber von Insurge Intelligence, eines crowdfinanzierten, investigativen Journalismus-Projekts.

„Wir stehen an der Seite der Türkei bei ihren Bemühungen um ihre nationale Sicherheit und im Kampf gegen den Terrorismus. Frankreich und die Türkei stehen auf der selben Seite im Rahmen der internationalen Koalition gegen die Terroristengruppe ISIS.“

  Stellungnahme des französischen Außenministeriums, Juli 2015


Das Massaker in Paris am 13. November wird wie der 11. September als ein einschneidender Moment in die Weltgeschichte eingehen.

Die 129 ermordeten  und 352 weitere verletzten Menschen durch die Ministranten des „Islamischen Staats“ (ISIS) bei den zeitgleichen Anschlägen im Herzen Europas stellen einen großen Wandel in der Terrorbedrohung dar.

Zum ersten mal gab es mit dem schlimmsten Anschlag in Europa seit Jahrzehnten auf westlichem Boden einen Anschlag wie in Mumbai. Frankreich hat darauf mit einer scheinbar angemessenen Reaktion reagiert: die Ausrufung des nationalen Notstands. Zuletzt gab es derartiges 1961 im Algerienkrieg.

ISIS machte mit Anschlagsdrohungen auf Washington und New York weiter.

Währenddessen verlangt Präsident Hollande von den Führern der Europäischen Union die Aussetzung des Schengen-Abkommens über offene Grenzen. Die Reisefreiheit in Europa soll drastisch eingeschränkt werden. Er verlangt ebenso die Einführung eines Namensregisters für Passagiere (PNR). Damit können die Geheimdienste die Reiserouten der Europäer bis ins kleinste nachverfolgen. Und er fordert eine Verlängerung des Notstands auf mindestens drei Monate.

Mit dieser Ausweitung kann die französische Polizei jetzt jede Webseite blockieren, Menschen ohne Gerichtsverfahren unter Hausarrest stellen, Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl durchführen und Verdächtige daran hindern sich mit Menschen zu treffen die als Bedrohung gesehen werden.

„Wir wissen dass weitere Anschläge in Vorbereitung sind, nicht nur gegen Frankreich sondern gegen andere europäische Länder“, sagte der französische Premierminister. „Wir werden für lange Zeit mit der terroristischen Bedrohung leben müssen.“

Hollande will die Polizeimacht und die Sicherheitsdienste mit neuen Anti-Terror-Gesetzen stärken. Und er verfolgt eine Verfassungsänderung, die einen Notstand permanent in der französischen Politik verankern würde. „Wir brauchen ein geeignetes Werkzeug um nicht auf den Staatsnotstand zurückgreifen zu müssen“, erklärte er.

Parallel zum Kriegsrecht in der Heimat hat Hollande nicht mit militärischen Aktionen im Ausland gezögert. 30 Luftschläge auf über ein Dutzend Ziele des IS auf dessen de factoHauptstadt Raqqa.

Frankreichs trotziges Versprechen ist ISIS zu „zerstören“ – so Hollande.

Die Schockwellen der Anschläge werden wahrscheinlich permanente Auswirkungen auf die westlichen Gesellschaften nach sich ziehen. So wie 9/11 die Geburt einer neuen Ära endlosen Krieges gegen die moslemische Welt war, läuten die Anschläge von Paris am 13.11. bereits eine ganz neue Phase in diesem endlosen Krieg ein: das neue Zeitalter Permanenter Wachsamkeit, in der die Bürger Freiwild für den Polizeistaat sind, durchgesetzt im Namen der Verteidigung einer Demokratie, die dadurch dass sie sich mit Permanenter Wachsamkeit verteidigt, ausgehöhlt wird.

Massenüberwachung im eigenen Land und endlose Militäroperationen im Ausland sind die zwei Seiten der nationalen Sicherheitsmünze, sie gilt es so weit wie möglich auszuweiten.

„Frankreich befindet sich im Krieg“, sagte Hollande vor dem französischen Parlament im Palast von Versailles.

„Wir sind nicht in einem Krieg der Zivilisationen, denn diese Mörder repräsentieren keine Zivilisation. Wir sind im Krieg gegen den dschihadistischen Terror der die gesamte Welt bedroht.“

Der Freund unseres Feindes ist unser Freund

Auffällig ist jedoch, dass in Hollandes entschlossener Kriegserklärung nicht das größte Problem erwähnt wurde: der Staatsterrorismus.

Syrische Pässe, die in der Nähe zweier Leichen der Anschläge gefunden wurden, sind nach Polizeiangaben gefälscht, wahrscheinlich in der Türkei.

Früher in diesem Jahr zitierte die türkische Tageszeitung Meydan aus einer uigurischen Quelle, dass mehr als 100.000 gefälschte türkische Pässe an ISIS weitergegeben worden seien. Diese Zahl ist nach Aussagen des Foreign Studies Military Office der US Armee (FSMO) wahrscheinlich übertrieben, wird jedoch dadurch untermauert, dass „Uiguren in Thailand und Malaysia mit türkischen Pässen erwischt wurden“.

Eine weitere Bestätigung kam von einem Sky News Arabia Bericht des Korrespondenten Stuart Ramsey. Darin wird aufgedeckt wie die türkische Regierung Pässe ausländischer Milizionäre akzeptierte, die die türkisch-syrische Grenze passierten um ISIS zu folgen. Die Pässe, erhalten von kurdischen Kämpfern, trugen offizielle Ausreisestempel der türkischen Grenzbehörde. Das deutet darauf hin, dass ISIS-Milizionäre mit vollem Wissen türkischer Behörden nach Syrien einreisten.

Das Dilemma, vor dem die Erdogan-Regierung steht, fasst das FSMO so zusammen: „Wenn das Land illegale Pässe einziehen und die Milizen an der Durchreise hindern würde, dann könnten die Militanten die Türkei zu einem Anschlagsziel machen. Wenn aber die Türkei auf dem eingeschlagenen Weg weitermacht, dann werden die diplomatischen Beziehungen zu anderen Ländern und die interne politische Situation darunter leiden.“

Das kratzt gerade einmal an der Oberfläche. Ein höherer westlicher Regierungsvertreter, der diesen Sommer nach einer Razzia in einem ISIS-Unterschlupf zu einer großen Menge an Informationen kam, sagte dem Guardian, dass „direkte Verhandlungen zwischen türkischen Regierungsvertretern und Vertretern von ISIS jetzt ‘nicht zu leugnen’ seien.“

Der selbe Regierungsvertreter bestätigte, dass das langjährige NATO-Mitglied Türkei nicht nur ISIS, sondern auch andere dschihadistische Gruppierungen wie Ahrar al-Sham und Jabhat al-Nusra, den alQaeda-Ableger in Syrien unterstützt. „Die Unterscheidungen (zu anderen Oppositions-Gruppierungen) sind wirklich sehr dünn“, sagte der Offizielle. „Es gibt keinen Zweifel, dass sie mit beiden militärisch zusammenarbeiten.“

Einen seltenen Einblick in die dreiste Staatsfinanzierung an ISIS liefert ein Newsweek-Bericht aus dem letzten Jahr. Das Zeugnis eines früheren ISIS-Kommunikationstechniker, der nach Syrien ging, um gegen das Regime von Bashar al-Assad zu kämpfen.

Der frühere ISIS-Kämpfer erzählte Newsweek, dass die Türkei im Februar Lkws des ISIS aus Raqqa erlaubte, die „Grenze zu überqueren und dann wieder zurück über die Grenze um syrische Kurden in der Stadt Serekaniye im Norden Syriens anzugreifen.“ Die Milizen des ISIS konnten frei „in einem Lastwagenkonvoi durch die Türkei reisen“ und „in sicheren Unterschlüpfen“ anhalten.

Dieser ehemalige ISIS-Kommunikationstechniker gab auch zu, dass er laufend „ISIS-Hauptleute und -Kommandanten aus Syrien haufenweise mit türkischen Leuten verbunden habe“ und sagte: „die Leute mit denen sie redeten waren türkische Regierungsvertreter…die ISIS-Kommandanten sagten uns, wir hätten nichts zu befürchten, es gäbe eine einvernehmliche Zusammenarbeit mit der Türkei.“

Im Januar wurden bestätigte offizielle Dokumente des türkischen Militärs geleakt. Diese Dokumente zeigen, dass türkische Geheimdienstmitarbeiter in Adana von Militärpersonal erwischt wurden, wie sie Raketen, Granaten und Flugabwehrmunition mit einem Lkw nach Syrien „an die Terrororganisation alQaeda“ liefern wollten.

Nach Aussagen von ISIS-Verdächtigen, die in der Türkei ihren Prozess erwarten, hat der türkische nationale Militärgeheimdienst (MIT) bereits 2011 mit dem Schmuggeln von Waffen – darunter NATO-Waffen – an dschihadistische Gruppen in Syrien begonnen.

Die Vorwürfe wurden durch einen Anklagevertreter und Zeugenaussagen der türkischen Militärpolizei bekräftigt. Sie bestätigten, dass der türkische Geheimdienst von 2013 bis 2014 Waffen an syrische Dschihadisten lieferte.

Im September 2014 geleakte Dokumente zeigen, dass der saudische Prinz Bandar bin Sultan Waffenlieferungen an ISIS über die Türkei finanzierte. Ein Flugzeug aus Deutschland lieferte heimlich Waffen zum Flughafen Etimesgut in der Türkei. In drei Containern, zwei davon wurden an ISIS geliefert.

Ein Bericht der türkischen Statistikbehörde bestätigt, dass während dieser Zeit Waffen im Wert von mindestens $1 Mio. an syrische Rebellen geliefert wurden, in Widerspruch zu offiziellen Dementi. Zu den Waffen gehörten Granaten, schwere Artillerie, Flugabwehrkanonen, Handwaffen, Munition, Jagdgewehre und andere Waffen – die Statistikbehörde lehnte es jedoch ab die einzelnen Empfänger der Lieferung zu nennen.

Die Information dazu kam aus einer anderen Quelle. Vor zwei Monaten stürmte die türkische Polizei eine Nachrichten-Redaktion. Diese hatte Enthüllungen darüber veröffentlicht, wie der örtliche Zollinspektor die Waffenlieferungen aus der Türkei an ISIS nach Syrien genehmigte.

Die Türkei spielte auch eine wesentliche Rolle bei der Einrichtung dieser ISIS-Lebensader: den Ölverkäufen auf dem Schwarzmarkt. Hochrangige Quellen aus der Politik und den Geheimdiensten bestätigen, dass türkische Behörden aktiv bei der Ermöglichung von ISIS-Ölverkäufen in das Land mitgewirkt haben.

Letzten Sommer hat ein Oppositionspolitiker, Mehmet Ali Ediboglu, die Menge der ISIS-Ölverkäufe in der Türkei auf $800 Mio. geschätzt – das war vor über einem Jahr.

Das würde bedeuten dass ISIS über die Türkei jetzt bereits mehr als eine Milliarde Dollar durch Schwarzmarktöl eingenommen hat.

ISIS hat keine „selbsterhaltende Wirtschaft“, wie die Phantasten der Washington Post und der Financial Times in ihren jüngsten falschen Untersuchungen behaupten. Das sagt Martin Chulov vom Guardian:

„…Tanklaster mit Öl aus Behelfs-Raffinerien fahren noch immer zur (türkisch-syrischen) Grenze. Ein ISIS-Mitglied sagte, dass die Organisation noch weit davon entfernt sei, für ihr in Syrien und dem Irak kontrolliertes Gebiet eine selbsterhaltende Wirtschaft zu errichten.
‘Sie brauchen die Türken. Ich weiß einiges über die Zusammenarbeit und sie macht mir Sorgen. Ich sehe nicht, wie die Türkei die Organisation hart angreifen könnte. Es gibt gemeinsame Interessen’.“

Hochrangige Parteimitglieder der regierenden AKP gestehen das Ausmaß der Regierungsunterstützung für ISIS ein.

Die liberale türkische Tageszeitung Taraf zitierte einen AKP-Gründer, Dengir Mir Mehmet Firat, der zugibt: Um die Entwicklungen in Rojova (kurdische Provinz in Syrien) zu schwächen ist die Regierung den extremistisch religiösen Gruppierungen entgegengekommen und hat diese bewaffnet…die Regierung half den Verwundeten. Der Gesundheitsminister sagte so etwas wie: es sei eine humanitäre Pflicht, die Verwundeten des ISIS zu versorgen.“

Die Zeitung berichtete auch, dass ISIS-Milizionäre laufend in Krankenhäusern im Südosten der Türkei medizinische Behandlung erhalten – darunter die rechte Hand al-Baghdadis.

Der Journalist Ahu Ozyurt beschrieb in der „Hurriyet Daily News“ seinen „Schock“ als er von den pro-ISIS-“Gefühlen der AKP-Schwergewichte“ in Ankara und woanders erfuhr. Dazu gehören „Worte der Bewunderung für ISIL von hohen Regierungsbeamten sogar aus Sanliurfa. ‘Sie sind wie wir, sie kämpfen gegen sieben große Mächte in diesem Unabhängigkeitskrieg’, sagte einer. ‘Anstelle der PKK hätte ich lieber ISIL als Nachbar’, sagte ein anderer.“

Gleichzeitig heucheln NATO-Führer Empörung, und liberale akademische Experten rätseln weiter verblüfft, warum ISIS so außerordentlich hartnäckig ist und sich weiter ausbreiten konnte.

Es verwundert daher nicht, dass die türkischen Anti-ISIS Bombardierungen eine weitgehend symbolische Geste waren. Unter dem Vorwand des ISIS-Kampfes hat die Türkei größten Teils die Gelegenheit zur Bombardierung der kurdischen Kräfte YPG (Democratic Union Party) in Syrien und PKK (Kurdische Arbeiterpartei) in der Türkei und dem Irak benutzt. Gerade diese Kräfte aber werden wiederum von den meisten als die effektivsten Bodenkräfte im Kampf gegen ISIS gesehen.

Mittlerweile ist die Türkei bis an die Schmerzgrenze gegangen, um Bemühungen der USA zur Bekämpfung von ISIS zu verhindern. Als diesen Sommer 54 Absolventen des $500 Mio. Pentagon-Ausrüstungs- und Trainings-Programms für „moderate“ syrische Rebellen von der Jabhat al-Nusra – der Hand alQaedas in Syrien – gekidnappt wurden, geschah das auf einen Tipp des türkischen Geheimdienstes.

Dieses türkische Doppelspiel wurde „McClatchy“ durch mehrere Quellen der Rebellen bestätigt, aber ein Pentagon-Sprecher widersprach und versicherte:

„Die Türkei ist ein NATO-Verbündeter, ein enger Freund der Vereinigten Staaten und ein wichtiger Partner in der internationalen Koalition.“

Da spielt es kaum noch eine Rolle, dass die Türkei ISIS Ölgeschäfte über eine Milliarde Dollar ermöglicht hat.

Ein von den USA ausgebildeter Offizier der Division 30 (Anm.d.Ü.: eine CIA-gesponserte Rebellengruppe in Syrien) mit Informationen zu dem Vorfall sagte dass die Türkei damit versuche, den Einfluss der Islamisten von Nusra und Ahrar im Norden zu erweitern“ und die Vereinigten Staaten dazu zu bringen „die Ausbildung der Rebellen zu beschleunigen.“

David Graeber von der London School of Economics wies darauf hin:

„Wenn die Türkei zu den ISIS-Gebieten die gleiche totale Blockade wie zu den von Kurden gehaltenen Gebieten in Syrien durchgesetzt hätte…dieses blutgetränkte „Kalifat“ wäre schon lange zusammengebrochen – und möglicherweise wären die Anschläge von Paris nie passiert. Und wenn die Türkei heute dasselbe tun würde, ISIS würde wahrscheinlich in ein paar Monaten zusammenbrechen. Aber hat auch nur ein westlicher Führer Erdogan dazu aufgefordert?“

Einige Offizielle haben über dieses Paradox gesprochen, aber es half nichts. Letztes Jahr zeigte sich Claudia Roth, stellvertretende Bundestagspräsidentin, geschockt, dass die NATO der Türkei erlaubt, in Istanbul ein ISIS-Lager zu beherbergen, den Waffentransport an islamistische Milizen über die Grenze zu ermöglichen und stillschweigend den Ölhandel zu unterstützen.

Nichts ist passiert.

Stattdessen wurde die Türkei reichlich für ihre Partnerschaft mit genau jenem Terrorstaat belohnt, der das Massaker am 13. November 2015 über Paris brachte. Nur einen Monat zuvor hat Kanzlerin Merkel der Türkei ein beschleunigtes Verfahren für die Aufnahme der Türkei in die EU angeboten. Das würde Reisefreiheit für Türken nach Europa bedeuten.

Das sind zweifellos Super-Nachrichten für die Sicherheit der europäischen Grenzen.

Staatliche Sponsoren

Es ist nicht nur die Türkei. Hochrangige politische und nachrichtendienstliche Quellen in der Kurdischen Regionalregierung (KRG) bestätigten die Mittäterschaft hochrangiger KRG-Beamter bei den ISIS Ölgeschäften, zum eigenen Vorteil und um die schwindenden Einkünfte der Regierung zu steigern.

Trotz einer formellen parlamentarischen Untersuchung, die die Anschuldigungen bestätigte, gab es keine Verhaftungen, keine Anklagen und keine strafrechtliche Verfolgung.

Der „Mittelsmann“ der KRG und andere Regierungsbeamte, die diese Geschäfte ermöglichten, gehen weiter ihren Geschäften nach.

In seiner Aussage vor einem Senatsausschuss der Streitkräfte im September 2014 wurde General Martin Dempsey, zu jener Zeit der oberste Stabschef, von Senator Lindsey Graham gefragt, ob er „irgendwelche arabischen Verbündeten kenne die ISIL huldigen?“.

Die Antwort des Generals:

„Ich kenne wichtige arabische Verbündete die sie finanzieren.“

Mit anderen Worten: der höchste Militär der USA hat damals bestätigt, dass ISIS von genau jenen „wichtigen arabischen Verbündeten“ unterstützt wird, die gerade der US-geführten Anti-ISIS Koalition beigetreten sind.

Zu diesen Verbündeten gehören Saudi Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und insbesondere Kuwait – die zumindest in den letzten vier Jahren Milliarden von Dollar hauptsächlich an extremistische Rebellen geschleust haben. Kein Wunder, dass ihre Luftschläge gegen ISIS (vorher schon winzig) jetzt nahezu völlig aufgehört haben. Sie konzentrieren sich stattdessen darauf, die schiitischen Houthis im Jemen zu bombardieren, was dort übrigens zum Aufstieg von ISIS führt.

Durchlässige Verbindungen zwischen einigen Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA), Islamistengruppen wie al-Nusra, Ahrar al-Sham und ISIS ermöglichen auch rege Waffenlieferungen von den „Moderaten“ zu den islamistischen Milizen.

Der ständige Transfer von Waffenbeständen der CIA/Golfstaaten/Türkei an ISIS wurden mit einer Analyse der Seriennummern von Waffen durch die in Großbritannien ansässige Conflict Armament Research (CAR) dokumentiert. Deren Datenbank über illegalen Waffenhandel wird von der EU und dem Schweizer Außenministerium gefördert.

„Kräfte des IS haben erhebliche Mengen von US Kleinfeuerwaffen erbeutet und sie auf dem Schlachtfeld eingesetzt“, schreibt ein CAR-Bericht vom September 2014. „M79 90mm Panzerabwehrraketen, in Syrien von IS-Kräften erbeutet, sind identisch mit M79 Raketen die von Saudi Arabien 2013 an Kräfte geliefert wurden die unter dem Schirm der „Freien Syrischen Armee“ operierten.“

Der deutsche Journalist Jürgen Todenhöfer, der 10 Tage beim IS verbrachte, berichtete letztes Jahr, dass ISIS „indirekt“ vom Westen bewaffnet wird:

„Sie kaufen die Waffen die wir der Freien Syrischen Armee gaben, sie erhalten also Waffen aus dem Westen – sie bekommen französische Waffen…ich sah deutsche Waffen, ich sah amerikanische Waffen.“

ISIS wird also staatlich unterstützt – ja, gesponsert von angeblich dem Westen wohl gesonnenen Regimen der muslimischen Welt, die Bestandteil der Anti-ISIS-Koalition sind.

Das führt zu der Frage, warum Hollande und andere westliche Führer (die ihre Entschlossenheit ausdrücken, ISIS mit allen Mitteln zu „zerstören“) den wichtigsten aller Faktoren außer Acht lassen: die materielle Infrastruktur beim Aufstieg von ISIS in Zusammenhang mit der fortwährenden staatlichen Unterstützung von islamistischen Milizen in der Region durch die Golfstaaten und die Türkei.

Es gibt viele Erklärungen dafür, aber eine ragt wahrscheinlich heraus: die erbärmliche Abhängigkeit des Westens von Terror unterstützenden muslimischen Regimen, hauptsächlich um einen Zugang zu den Öl- und Gasreserven des Nahen Ostens, des Mittelmeers und Zentralasiens zu erhalten.

Pipelines

Ein Großteil der gegenwärtig angewendeten Strategie wurde 2008 freimütig in einer von der US Armee gesponserten RAND-Studie beschrieben. „Über die Zukunft des Langen Krieges“ (pdf). Die Studie weist darauf hin, dass „die Volkswirtschaften der Industriestaaten weiterhin sehr stark vom Erdöl abhängig sein werden, daher handelt es sich um strategisch wichtige Ressourcen.“ Da das meiste Öl im Nahen Osten gefördert werden wird, haben die USA ein „Motiv, die Stabilität im Nahen Osten zu erhalten und gute Beziehungen mit diesen Staaten zu unterhalten.“
Es ist nur so, dass gerade diese Staaten den islamistischen Terror unterstützen:

„Die geografische Lage der bekannten Erdölvorkommen deckt sich mit den Machtzentren eines großen Teils des salfistisch-dschihadistischen Netzwerks. Dies führt zu einer Verbindung zwischen der Ölversorgung und dem Langen Krieg, die nicht leicht zu unterbrechen und nicht einfach zu beschreiben ist…In absehbarer Zukunft werden Steigerungen der Welt-Ölproduktion und die Gesamtleistung durch die Vorkommen am Persischen Golf dominiert werden…Diese Region wird daher strategische Priorität behalten und diese Priorität wird starke Wechselwirkungen mit einer Verfolgung des Langen Krieges haben.“

Freigegebene Regierungsdokumente verdeutlichen ohne jeden Zweifel, dass ein Hauptgrund für den Irakkrieg 2003 war (dessen Vorbereitungen sofort nach 9/11 begannen), eine permanente US Militärpräsenz am Persischen Golf einzurichten um Zugang zum Erdöl und Erdgas der Region zu haben.

Die Sucht nach dem Schwarzen Gold endete jedoch nicht beim Irak – und ist kein Privileg des Westens.

„Die meisten der ausländischen Kriegsparteien im syrischen Krieg sind Erdgas-exportierende Länder. Diese sind an einem der zwei konkurrierenden Pipeline-Projekte interessiert, beide würden syrisches Gebiet Richtung Europa durchqueren, die eine für katarische Erdgas, die andere für iranisches Erdgas“, schreibt Professor Mitchell Orenstein vom Davis Center für russische und europäische Studien der Harvard-Universität im „Foreign Affairs“, dem Blatt des Council on Foreign Relations in Washington D.C.

2009 machte Katar den Vorschlag für eine Pipeline nach Nordwesten über Saudi Arabien, Jordanien und Syrien in die Türkei. Aber Assad „weigerte sich den Plan zu unterzeichnen“, schrieb Orenstein. „Russland, das seine Position im europäischen Erdgasmarkt nicht gefährdet sehen will, hat ihn unter enormen Druck gesetzt, nicht zu unterzeichnen.“

Russlands Gazprom verkauft 80% seines Erdgases nach Europa. 2010 hat Russland daher sein Gewicht hinter eine „alternative Pipeline Iran-Irak-Syrien gelegt, welche iranisches Erdgas aus dem gleichen Feld (Anm.d.Ü.: er meint wohl das South Pars Feld, zusammen mit North Pars das größte Erdgasfeld der Erde) nach Syrien, zu Häfen wie Latakia und unter das Mittelmeer.“ Dieses Projekt würde es Moskau ermöglichen, „die Erdgasimporte aus dem Iran, der Kaspischen Region und Zentralasien nach Europa zu kontrollieren.“

Dann wurde im Juli 2011 ein Iran-Irak-Syrien Pipelineabkommen in Höhe von 10 Milliarden US Dollar angekündigt und ein Vorvertrag wurde ordnungsgemäß von Assad unterzeichnet.

Noch im selben Jahr erhöhten die USA, Großbritannien, Frankreich und Israel ihre verdeckte Unterstützung für Rebellengruppen in Syrien, um einen „Kollaps“ des Assad-Regimes „von innen“ zu bewirken.

„Die Vereinigten Staaten…unterstützen die Katar-Pipeline um den Iran in Schach zu halten und den europäischen Gasnachschub aus Russland zu diversifizieren“, erklärte Orenstein im Foreign Afffairs.

In einem Artikel des „Armed Forces Journal“ veröffentlicht von Major Rob Taylor ((Dozent am US Army’s Command and General Staff College, Fort Leavenworth) wird beißende Kritik an den konventionellen Medien wegen deren Berichterstattung zum Syrienkonflikt geäußert, weil sie die Frage um die Pipelines ignorieren:

„Jede Beurteilung des Syrienkonflikts, die die geopolitische Ökonomie der Region vernachlässigt, ist unvollständig…Aus geopolitischer und wirtschaftlicher Sicht betrachtet ist der Konflikt in Syrien kein Bürgerkrieg, sondern das Resultat größerer internationaler Spieler, die sich auf dem geopolitischen Schachbrett für die Eröffnung einer Pipeline aufstellen…Assads Pipeline-Entscheidung, die für die drei schiitischen Staaten den Vorteil beim Erdgas festigen könnte, zeigt auch Russlands Verbindungen zum syrischen Erdöl und zur Region durch Assad. Saudi Arabien und Katar, genauso wie alQaeda und andere Gruppen, arbeiten an der Absetzung Assads und setzten auf die Hoffnung einer sunnitische Eroberung von Damaskus. Damit erhoffen sie sich eine Teilkontrolle über die „neue“ syrische Regierung und einen Anteil am Pipeline-Wohlstand.“

Mit den Pipelines gäbe es nicht nur Zugang zum iranisch-katarischen Gasfeld, sondern möglicherweise auch zu kürzlich neu entdeckten Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer – es betrifft Offshore-Gebiete von Israel, Palästina, Zypern, der Türkei, Ägypten, Syrien und Libanon. Es wird geschätzt dass das Gebiet bis zu 1,7 Mrd Fass Erdöl und bis zu 122 Billionen m³ Erdgas enthält (Anm.d.Ü.: ca. ein Zehntel des Pars-Felds). Geologen glauben, dass es sich hier nur um ein Drittel der in der Levante vermuteten unentdeckten fossilen Brennstoffe handelt.

Ein Bericht des „US Army War College’s Strategic Studies Institute“ vom Dezember 2014 (verfasst von einem ehemaligen wissenschaftlichen Direktor des britischen Verteidigungsministeriums) bemerkt, dass insbesondere Syrien ein hohes Potential signifikanter Offshore Öl- und Gasvorkommen habe. Da heißt es:

„Ist der Syrienkonflikt erst gelöst dann ist die Aussicht auf eine syrische Offshore-Produktion sehr hoch – vorausgesetzt es werden rentable Vorkommen gefunden.“

Die Brutalität und Unrechtmäßigkeit Assads steht außer Frage – aber bis zu dem Zeitpunkt an dem er bewies dass er mit Russland und dem Iran nicht brechen wird, besonders wegen deren Vorschlag des Pipeline-Projekts, war die US-Politik gegenüber Assad ambivalent.

Depeschen des US Außenministeriums im Besitz von Wikileaks offenbaren, dass die US-Politik zwischen der Finanzierung syrischer Oppositionsgruppen (für einen leichteren „Regimewechsel“) und der Drohung mit einem Regimewechsel (um ein „Reformverhalten“ zu erreichen) schwankten.

Präsident Obamas Vorliebe für letzteres führte dazu, dass US-Beamte, einschließlich John Kerry, Assad schamlos hofierten. In der Hoffnung Assad vom Iran wegzulocken, die syrische Wirtschaft für US Investoren zu öffnen und das Regime in den regionalen Entwurf der USA und Israels einzureihen.

Die Proteste des Arabischen Frühlings 2011 führten zu brutalen Übergriffen von Assads Sicherheitskräften gegen zivile Demonstranten. Noch zu diesem Zeitpunkt bestanden Kerry und die damalige Außenministerin Hillary Clinton darauf, dass Assad ein „Reformer“ sei – das interpretierte dieser als grünes Licht, auf weitere Proteste mit Massakern zu antworten.

Assads Entscheidung für Russland und den Iran, die Unterstützung für deren bevorzugtes Pipeline-Projekt war ein Hauptfaktor für die USA, sich gegen ihn zu wenden.

Europas Tanz mit dem Teufel

Die Türkei spielt eine Hauptrolle bei der von den USA, Katar und Saudi Arabien unterstützten Pipeline-Route und der Umgehung von Russland und dem Iran als vorgesehener Erdgas-Umschlagplatz für Exporte in die europäischen Märkte.

Es ist nur eine der vielen möglichen Pipeline-Routen die die Türkei beträfen.

„Die Türkei ist das wichtigste Land für die Diversifikation der Erdgasversorgung der gesamten Europäischen Union. Es wäre ein riesiger Fehler die Zusammenarbeit bei der Energie weiter zu verzögern“, warnte David Koranyi, Direktor der Initiative zur Eurasischen Energiezukunft beim Atlantic Council und ehemaliger nationaler Sicherheitsberater des ungarischen Premierministers.

Koranyi bemerkte, dass sowohl kürzlich entdeckte „große Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer“ als auch „Erdgas aus dem Nordirak“ an den „türkischen Markt und weiter nach Europa geleitet werden könnten“.

Bedenkt man die Abhängigkeit Europas von Russland mit einem Viertel ihres Gasverbrauchs, dann ist die Verringerung dieser Abhängigkeit und die Reduzierung der europäischen Verwundbarkeit durch Lieferstopps zu einer drängenden strategischen Priorität geworden. Diese Priorität passt zu den langjährigen Bemühungen der USA, Zentral- und Osteuropa aus dem russischen Machtbereich zu ziehen.

Die Türkei ist von zentraler Bedeutung für die US-EU Vision einer neuen Energielandschaft:

„Die EU würde eine verlässliche alternative Nachschubroute erhalten um ihre Importe aus Russland zu diversifizieren. Die Türkei würde als Umschlagplatz von den Transitgebühren und anderen Einkünften durch diese Energie profitieren. Zusätzliche Erdgasmengen für den Export könnten in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der größeren Region zur Verfügung stehen. Die Türkei ist die logische Route über die man nach Europa weiterleiten könnte.“

Ein Bericht des Global Sustainability Institutes (GSI) der Anglia Ruskin Universität warnte, dass Europa vor einer drohenden Energiekrise stehe, insbesondere Großbritannien, Frankreich und Italien, aufgrund eines „kritischen Mangels an natürlichen Ressourcen“.

„Kohle-, Öl- und Gasreserven gehen in Europa zur Neige und wir brauchen Alternativen“, sagt die GSI-Professorin Victoria Andersen.

Sie empfiehlt weiter einen raschen Wechsel zu erneuerbaren Energien, aber die meisten europäischen Führer haben anscheinend andere Vorstellungen. Nämlich zu einem Netzwerk an Pipelines zu wechseln, das Öl und Erdgas aus dem Nahen Osten, dem östlichen Mittelmeer und Zentralasien nach Europa transportieren soll. Über unseren geliebten Freund, die Türkei Erdogans.

Ungeachtet dessen, dass die Türkei unter Erdogan der Hauptsponsor des barbarischen „Islamischen Staats“ ist.

Wir dürfen zur westlichen Außenpolitik, eigentlich zur NATO, keine unpatriotischen Fragen stellen.

Wir brauchen uns über das sinnlose Spektakel von Luftschlägen und Stasi-artigen Polizeibefugnissen nicht zu wundern, angesichts unserer schamlosen Beziehung zu Erdogans Terror-Regime, das unsere eigenen Feinde bewaffnet und finanziert.

Wir dürfen die Motive unserer gewählten Führer nicht in Frage stellen. Sie belügen uns immer noch, obwohl sie diese Informationen seit Jahren besitzen. Und sie tun es eklatant, sogar jetzt, wo das Blut der 129 französischen Opfer noch nicht trocken ist. Sie heucheln, dass sie eine Bande aus psychopathischem Mörderabschaum „zerstören“ wollen – die aus dem Herzen der NATO bewaffnet und finanziert werden.

Nein nein nein. Das Leben geht weiter. Es muss wie gewohnt weitergehen. Die Bürger müssen ihr Vertrauen in die Weisheit des Sicherheitsstaates beibehalten.

Die USA müssen darauf bestehen, sich bei der Auswahl und Ausbildung der „moderaten Rebellen“ in Syrien weiter auf türkische Geheimdienste zu verlassen. Und die EU muss weiter auf einer intensiven Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung mit Erdogans Regime bestehen und gleichzeitig diesem Patenonkel von ISIS den Zugang zur EU erleichtern.

Aber keine Angst: Hollande besteht immer noch auf der „Zerstörung“ des ISIS. Genauso wie Obama und Cameron – und Erdogan.

Es ist einfach so, dass bestimmte rote Linien nicht überschritten werden können.