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spiegel_online_logoZumindest nimmt er kein Blatt vor den Mund, was seine Verachtung für das Volk anbetrifft. Was Jakob Augstein in seiner aktuellen Kolumne auf Spiegel Online offenbart, spiegelt die elitäre Sicht einer Herrschaftsklasse, die den „Pöbel“ zutiefst verachtet, ihn seit Jahrhunderten unmündig und von der Macht fernhält, um sich selbst Pfründe und Vormachtstellung zu sichern.

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Jakob Augstein: Im Zweifel reaktionär

Einen „Notstand der politischen Legitimation“ hat Augstein mittlerweile auch erkannt. Nicht etwa, weil das Volk nichts zu entscheiden hat – etwa in der Migrationsfrage, den Kriegseinsätzen, TTIP oder der Regulierung des Sozialstaats (allesamt Themen­bereiche in denen die Eliten gegen das Volk regieren) -, sondern weil es sich nicht mehr so zahlreich zugunsten der herrschenden Eliten an der Wahlurne selbst entmündigen will, wie das in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war.

Sollen die Menschen an den politischen Entscheidungen mehr beteiligt werden? Bloß nicht.

Jakob Augstein

Offenherziger kann man seine verfassungsfeindliche Gesinnung nicht kundtun. Dass Augstein dabei nicht einmal das geringste Schamgefühl verspürt, verwundert auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick offenbaren sich Abgehobenheit und unverhohlene Verachtung der Eliten für jene Bürger der unteren Schichten, die man von Geburt an zur Unmündigkeit konditioniert, weil man fürchtet, sie könnten in direktdemokratischen Entscheidungen die Verhältnisse zu ihren Gunsten verändern.

Augstein rechtfertigt seine so elitäre wie reaktionäre „Demokratie“-Anschauung – offensichtlich motiviert durch das jüngste Votum der Niederländer gegen die EU-Assoziierung der Ukraine – mit Beispielen der jüngsten Vergangenheit, in denen die Bürger nicht so abgestimmt haben, wie sich der Schmock mit dem goldenen Löffel das gerne gewünscht hätte. Zu diesen Beispielen gehört eben jenes „NEE“ der Holländer Richtung Ukraine und Brüssel, das Votum der Schweizer gegen den Bau von Minaretten oder auch die mehrheitliche Ablehnung von Gemeinschaftsschulen durch die Hamburger Bürger.

Das jüngste Votum der Schweizer gegen die verschärfte „Ausschaffung“ kriminell gewordener Ausländer unterschlägt Augstein kurzerhand und die von ihm benannten Beispiele sind alles andere als geeignet, die direkte Demokratie zu diskreditieren. Mehr noch: kein Wort dazu, dass man das ukrainische Fiasko hätte verhindern können, wenn man die EU-Bürger und die Ukrainer vorher gefragt hätte, ob sie die von den Eliten vorangetriebene Annäherung überhaupt wollen.

Es kann nicht nur kein Zweifel bestehen, dass die Mehrheit der EU-Bürger diese geplante Erweiterung nach Osten zunächst abgelehnt hätte, ein Referendum darüber hätte auch einen öffentlichen Diskurs befördert, der die wirtschaftlichen und geopolitischen Fallstricke, die letztlich zum Krieg führten, rechtzeitig offenbart hätte. Insbesondere in der Ukraine selbst hätte ein offener Diskurs vor einem Referendum über eine EU-Annäherung den Bürgern die Augen dafür öffnen können, welche wirtschaftlichen Tücken und Gräben in der Anpassung an westeuropäische Wirtschaftsstandards verborgen sind. Das Fiasko der Ukraine ist also ganz offensichtlich ein Produkt gerade eben jener elitären Politik über den Willen und die Vernunft der Bürger hinweg, der Augstein hier das Wort redet.

Auch seine Beispiele „Minarettbau“ und „Gemeinschaftsschulen“ gehen beidseitig an Krücken und offenbaren damit entweder ein intellektuelles Handikap des Intellektuellen oder aber seine tief verinnerlichte Verachtung der „einfachen“ Bürger, die sich – so sieht es Augstein – nur allzu gerne von sogenannten „Rechtspopulisten“ manipulieren lassen.

Beide Beispiele – „Minarettbau“ und „Gemeinschaftsschulen“ – tangieren zentrale Aspekte direkter Demokratie, die man deshalb so nicht unwidersprochen stehen lassen kann. Im Fall des Minarettbaus, der von den Schweizern mehrheitlich abgelehnt wurde, kommen wir zur Frage, ob Volksentscheide sich über Völker- und Menschenrecht hinwegsetzen können und um es kurz zu machen: das können sie selbstverständlich nicht. Nicht in der Schweiz und auch nicht in Deutschland. Eine Volksbefragung, ob man alle Muslime ausweisen – oder alle Juden vergasen – solle, wäre genauso wenig mit unserer Verfassung und den allgemeinen Menschenrechten zu vereinbaren, wie ein pauschales Verbot, Gotteshäuser zu errichten.

Perfider noch, als das Beispiel des Minarettbaus, ist Augsteins Verweis auf das mehrheitliche Votum der Hamburger Bürger gegen längeres gemeinsames Lernen und Gemeinschaftsschulen. Perfide deshalb, weil Augstein sich zum Anwalt der sozial Benachteiligten erhebt, nur um als solcher ihre Entmündigung zu rechtfertigen und vor allem festzuschreiben.

Längeres gemeinsames Lernen und Gemeinschaftsschulen kommen vor allem schwächeren Schülern zugute. Hamburgs Mittel- und Oberschicht konnte im Vorfeld des Volksentscheids die Gegner der geplanten Reformen stärker mobilisieren und deshalb letztlich für sich entscheiden. Die politisch lethargischen Unterschichten haben die Bedeutung der Reformen nicht erkannt und so war in den wohlhabenden Stadtteilen die Wahlbeteiligung zum Teil mehr als doppelt so hoch wie in sozial schwachen Bezirken. Dumm gelaufen.

Tatsächlich sind aber diejenigen, die an diesem Tag zuhause blieben, ihr Leben lang zur Unmündigkeit und politischen Lethargie erzogen worden – durch Leute wie Augstein. Wären sie von Kindesbeinen an in Schulen – und später als mündige Bürger in regelmäßigen Volksbefragungen – in sämtliche für sie selbst relevanten und gesellschaftlich wichtigen Entscheidungen eingebunden worden, dann hätten diese Menschen ein anderes Verhältnis zur Demokratie, zum Staat und seinen Institutionen – zu denen auch die Schulen gehören. Mehr noch: hätte es eine Pflicht gegeben, sich an Volksbefragungen zu beteiligen, so wie es auch eine Pflicht gibt, Steuern zu zahlen oder sein Kraftfahrzeug regelmäßig untersuchen zu lassen, die Hamburger Schulreform zugunsten der sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler wäre sehr wahrscheinlich zustande gekommen.

Augstein spricht den Unterschichten also nicht nur ab, für ihre eigenen Interessen eintreten zu können, er will auch das dies so bleibt und darin zeigt sich die ganze Bösartigkeit seiner verlogenen Argumentation. Letztendlich spricht er den zur Unmündigkeit erzogenen Bürgern damit die Fähigkeit – und sogar das Recht auf die Möglichkeit ab -, aus eigenen Fehlern zu lernen. Mehr Verachtung aber, als jemandem die Fähigkeit zu lernen abzusprechen, kann man einem anderen Menschen gegenüber nicht aufbringen.