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deutschlandfunkMan denkt ja manchmal, es könne einen nichts mehr überraschen. Wir haben hier über wirre Verschwörungstheorien von ZEIT bis FAZ berichtet, die – angesichts des Aufstands der Leser gegen einseitigen und hetzerischen Journalismus – Mutmaßungen über russische Lohnschreiber geäussert haben, die auf den Kommentarseiten der Mainstreammedien und in Form von Leserbriefen ihr Unwesen treiben würden.

Diese Vorstellung ist schon aus mehreren logischen Gründen abwegig.

Zunächst einmal interessiert es Putin herzlich wenig, wenn deutsche Bürger mit journalistischem Müll zu kämpfen haben. Bis heute macht er nicht einmal anstalten, ein deutsches RT auf die Beine zu stellen. Was schade ist, denn dadurch würde ein breiteres Publikum die Einseitigkeit und Verzerrung bemerken, der wir hier in den gleichgeschalteten Mainstreammedien ausgesetzt sind. Zweitens haben auch russische Medien schon über den Proteststurm gegen die Propaganda hierzulande berichtet – es besteht also gar kein Handlungsbedarf. Drittens ist die Vorstellung, dass es in Russland Hunderte oder Tausende Arbeitsloser mit exzellenten Deutschkenntnissen gäbe, die angeheuert würden, um den ganzen Tag deutsche Medien zu lesen und Hassmails zu schreiben, so grotesk und am echten Leben vorbei, dass man sich Fragen muss, ob jemand, der so etwas behauptet, noch alle Tassen im Schrank hat.

Ohne jetzt den Vertretern Russlands in deutschen Talkshows nahe treten zu wollen, kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die meisten von denen, sei es der Botschafter oder irgendwelche Journalisten, weder mit exzellenten oder gar eloquenten Deutschkenntnissen glänzen, noch rhetorisch, ideologisch oder gar propagandistisch geschult sind. Die meisten können nicht einmal ansatzweise die russische Position so eloquent und durchschlagkräftig vertreten, wie man es von dutzenden deutschen Bloggern oder Kommentatoren kennt. Man könnte auch sagen: Wenn Russland wollte, könnte es sich besser verkaufen.

Von diesen nicht einmal besonders tiefschürfenden Erkenntnissen sind die meisten deutschen Journalisten weit entfernt. Vermutlich sind sie von Snowdens NSA-Enthüllungen oder einschlägigen Programmen der CIA „inspiriert“, wenn sie Wahnvorstellungen über eine angebliche russische Cyber-Armee in die Welt raunen, deren Söldner in geheimen Hinterhöfen den ganzen Tag Hassmails und Kommentare schreiben.

Ein ganz besonderes Exemplar dieser anti-russischen deutschen Hetz-Journaille ist Boris Reitschuster. Er war es, der dem Blödsinn von Putins Online-Armee am Donnerstag im DLF neue Nahrung gab:

„Focus“-Korrespondent Boris Reitschuster ist überzeugt, dass der Kreml sogenannte Trolls beschäftigt – verdeckte Kommentatoren und destruktive Blogger.
„Es gab eine Anweisung vom russischen Außenministerium, die offenbar aus Versehen veröffentlicht wurde bei Twitter. Und da war ganz, klar zu lesen: ‚Anweisung an die Blogger: Diesen Artikel bei ‚Spiegel‘-Online mäßig loben auf Facebook und auf Twitter.'“
In diesem Fall sollte ein deutsches Medium ausnahmsweise mit positiven Kommentaren bedacht werden. Der Screenshot, also die Abbildung der Moskauer Anweisung, wurde im März veröffentlicht – von einem pro-ukrainischen Twitter-Account. Kann man dem Beleg Glauben schenken?
„Das ist authentisch, weil das Außenministerium das zugegeben hat danach, dass dieser Screenshot authentisch ist auf ihrer offiziellen Homepage.“
Reitschuster leitet, nach insgesamt 16 Jahren in Russland, die Moskauer „Focus“-Redaktion von Bayern aus: Er habe Morddrohungen erhalten und sei deshalb nach Deutschland zurückgekehrt. Der Journalist hat nach eigenen Angaben einen Teil der Kreml-Propagandamaschinerie selbst gesehen – vor vier, fünf Jahren, bei einem Putin-treuen Jugendverband.
„Frech wie ich bin, bin ich in ein Zimmer, in das man hätte nicht hinein dürfen. Da saßen in etwa 50 junge Männer und Frauen hinter Computern. Und ich habe da ein bisschen reingeschaut – und die schrieben die Kommentare dort und man hat mich dort heraus geholt. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, vielleicht würde ich es auch nicht glauben.“
Die Deutsche Welle bestätigt solche Berichte. Russland-Redakteur Ingo Mannteufel ließ im vergangenen Herbst einen Report senden über staatlich finanzierte Geheimblogger in St. Petersburg.
„Die kriegen dann 40 Euro pro Tag und abgerechnet wird eigentlich nach Anzahl der abgegeben Kommentare – und man rechnet so mit 1000 Kommentaren am Tag. Und dafür kriegt man 40 Euro.“
(LINK)

Das russische Aussenministerium steuert eine geheime Blogger- und Pöbelarmee über Twitter und gibt dort Anweisungen, wie einzelne Berichte bei Spiegel Online oder anderswo kommentiert werden sollen. Wer sowas ernsthaft behauptet, der gehört in eine Anstalt – und damit ist nicht das ZDF gemeint.

Reitschuster tingelt schon seit geraumer Zeit durch deutsche Medien um Werbung für sein Büchlein zu machen. Auf dem Cover droht eine Sichel! und zwischen den Deckblättern die irre These vom russischen Faschismus. Im WDR verbreitete er propagandistischen Blödsinn, wie die Behauptung, russische Medien hätten angeblich über Konzentrationslager in der Ukraine berichtet. Eine These, die so bescheuert ist, dass vollkommen klar ist, dass nicht einmal russische Medien, ihren Konsumenten so einen Quatsch zumuten würden. Beim NDR-Magazin ZAPP hat er sich beklagt, als dieses vor einigen Wochen den Shitstorm gegen die deutsche Propaganda thematisierte und das viel beachtete Interview mit Gabriele Krone-Schmalz sendete. Reitschuster ist in der deutschen Propaganda zweifellos ein nützlicher Narr.

Trotz der offensichtlichen Dummheit dieser Geschichte – oder vielleicht gerade deshalb – musste die selbsternannte „kulturzeit“ den Blödsinn natürlich am selben Tag brühwarm aufnehmen. Schliesslich steht man dort – aufgrund der eigenen quasi täglichen Hetze gegen Russland – selbst unter Beschuss. Vermutlich ist der von jeglicher Dialektik verschonten Tina Mendelsohn dabei ein gruseliger Schauer über den Rücken gelaufen…

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