Schlagwörter
Demokratie, Desinformation, Mediendiskurs, Neoliberalismus, Venezuela, Verschweigen, Verzerren
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Was die deutsche Öffentlichkeit in ARD, DLF und ZDF über Venezuela vorgesetzt bekommt, ist ausnahmslos vorsätzliche Verzerrung, politische Propaganda und oft genug freche Lüge. Abby Martin hat für TeleSur eine weitere sehenswerte Reportage erstellt, in der sie den medialen Destabilisierungsversuchen westlicher Propaganda vor Ort Fakten gegenüberstellt. Sie beleuchtet dabei das breite Presseangebot im Land, besucht Supermärkte, die laut öffentlich-rechtlicher Desinformation eigentlich leer sein müssten, analysiert das Schwarzmarktproblem und spricht mit zahlreichen Menschen und Experten – sowohl Gegnern wie auch Anhängern der Regierung.
Gruust (@Gruust) sagte:
naja, Abby meint es gut, aber sie sollte öfters Experten zu schwierigeren Themen fragen. Leute auf der Strasse nach ökonomischen Problemen im Land zu befragen, die dann darauf verweisen, dass man doch jederzeit im Lokal essen gehen könnte, das erinnert dann doch etwas an den Adel, der dem Hungernden rät, doch Kuchen zu essen, wenn er kein Brot hat…. und dass in dem Land eine verfehlte Wirtschaftspolitik betrieben wurde, scheint recht unzweifelhaft zu sein, wenn man die gigantischen Nahrungsmittelimporte ansieht, für die Ölexporte benötigt werden. Natürlich geht das Land dann vor die Hunde, wenn der Ölpreis verreckt.
Steffi sagte:
Aha, Menschen auf der Straße des Landes, die in ein Restaurant gehen sind jetzt „Adlige“? Wow, Sie scheinen ja Experte zu sein – tausende Km weit weg und wahrscheinlich noch nie in dem oder einem anderen Land….aber die Abby hat ja keine Ahnung?
Welches Land hat denn die perfekte Wirtschaftspolitik? Und Sanktionen bewirken auch so gar nix oder was? Warum werden die dann gemacht? Warum haben die z.B. ca. 500.000 Kinder im Irak das Leben gekostet? Ms. Albright fand die us-Sanktionen ziemlich wertvoll….
Carlos sagte:
Erneut Venezuela – und eine neuerliche Philíppika für dieses Land, das ich oft und über lange Strecken hinweg kennengelernt habe. Ich spreche die Sprache, auch und gerade deren karibische Variante. Die einzelnen Stichworte der Reihe nach.
Rassismus: Erneut und dringlich gebe ich Euch den Ratschlag, Euch Abby Martins Video, welches Deo Gratias in hochauflösender Qualität ist, daraufhin genauer anzuschauen. Die Randalierer sind – fast – durchweg weiße Kreolen – will sagen: Sie gehören zu den Reichen Plus-Minus 5 Prozent. Alle jene, die Pro-Maduro demonstrieren, stellen hingegen die übergroße Mehrheit der Bevölkerung: Mestizen, Mulatten, Mestizo-Mulatten. Diesen gravierenden Umstand, verbunden mit den damit zusammen hängenden Problemen, macht man sich hier im fernen Europa nicht klar!
Lebensmittelversorgung: Die ist, wie Abby Martin berichtet, gesichert in Venezuela, aber man muß freilich genau hinschauen und differenzieren. Venezuela ist nicht nur OPEC-Mitglied – es ist vor allem auch und immer noch ein riesengroßer Agrar-Staat. Und: Über all im Lande gibt es zum Teil riesige Bauernmärkte, wo die Bauern ihre Erzeugnisse feilbieten; auch im Video wird einer gezeigt. Dort kauft man zudem viel billiger ein, als in einem Supermarkt. À propos Supermärkte: Auch da hat Abby Martin recht: Es hängt sehr stark davon ab, wem der Supermarkt gehört: Reiche Impresarios, die zumeist in den USA sitzen, versuchen unentwegt, die venezolanische Regierung dahingehend zu erpressen, in dem sie vor allem importierte Produkte fernhalten, um eben dann die leeren Supermärkte präsentieren zu können. Bullshit, das alles. Ein weiteres Verbrechen, welches hier kaum wahrgenommen wird und integral mit der Lebensmittelversorgung zusammenhängt: Die Genfraß-Giftspritzen-Konzerne. In der Ukraine werden gerade Kleinbauern verjagt, um an deren Böden zu gelangen: Die weltberühmte, gute, schwarze, und ungemein fruchtbare Erde wird gerade an jene US-Konzerne verscherbelt, denn die wollen die Macht haben – von der Ackerfurche bis zum Teller. Überall. Koste es, was es wolle. Auch und gerade in Venezuela. Brasilien und Argentinien geben traurige, fatale Beispiele dafür. Große Flächenstaaten sollen außerstande versetzt werden, sich betreffs Nahrungsmitteln selbst zu versorgen, sondern sollen brutal unter die Knute von Monsanto & Co. gezwungen werden.
Korruption. Ja, es gibt sie. Und es gibt sie nicht erst seit gestern. Korruption ist integraler, elementarer Teil dieses Landes seit jeher. Möchte man z.B. das Land über den Landweg nach Brasilien oder Kolumbien verlassen und hat nicht die nötigen Stempel im Paß – und selbst dann, wenn man sie bereits drin hat! – an der Grenze zahlt man, um nicht komplett sinnlos aufgehalten oder gar bedroht zu werden, etwa auf der Suche nach Drogen, die bei mir dann dort, freilich rein zufällig, untergeschoben wurden. Ich bezahle, i.e. besteche die venezolanischen, wie auch die kolumbianischen, i.e. brasilianischen Grenzer, um meine Ruhe zu haben. Und: Derlei Bestechungsgelder sind von Staats wegen mit einkalkuliert, weil die Männer kaum etwas verdienen und zu Hause viele Mäuler und Mäulchen gefüllt werden wollen; der Grenzer oftmals der einzige ist, der wenigstens ein bißchen Geld verdient. Was mich betrifft: Scheiße, keine Frage, aber Schwamm drüber. Isso.
Inflation. Bis vor etwas mehr als 40 Jahren erhielt man für einen US-Dollar 4 Bolívares; der Kurs war quasi zementiert. Die Erdöl-Krise zu Beginn der 70-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, Mißwirtschaft, Schuldenmacherei und Druckerpresse, alles spezifisch lateinamerikanischen Zuschnitts, begangen freilich von den reichen, kreolisch-weißen Eliten, waren der Anfang vom Ende; Hugo Chávez übernahm das Land, nachdem es bereits seit langem ein Armenhaus geworden war. Inflation ist also mindestens so alt wie sie regelmäßig gigantomanisch geradezu explodiert. Auch seit jeher. Beispiel: Im September 1990 erhielt man für einen US-Dollar 50 Bolívares. Ein knappes Jahr später, im August 1991, bekam ich für den Greenback bereits knapp 200.
Hier irrt Abby Martin leider ein wenig, und es kommt Ideologie ins Spiel: Schwarzmärkte sind symptomatisch für manifeste Probleme, und sie mutieren zu wahren Märkten, sobald staatliche Stellen versuchen, wirtschaftliches Geschehen zu unterbinden oder auch nur massiv zu steuern. Der Wert eines Produkts oder einer Dienstleistung wird sich immer an einem freien Markt definieren – im Guten, wie im Schlechten, im Wünschbaren, wie im Abzulehnenden. Ich habe auch den Sowjet-Kommunismus hinter dem eisernen Vorhang kennengelernt. Beispiel Tschechoslowakei: Für eine Deutsche Mark erhielt ich, gemäß offiziellen, staatlich festgesetzten Kurs, 4 Kronen. Auf dem Schwarzmarkt gab man mir derer 14. Mehr war die Krone faktisch nun einmal nicht wert, und auch die kleinen Leute wollten halt auch einmal guten Kaffee trinken, den es nur für westliche Devisen gab, anstatt die staatlich-sozialistische Plörre saufen zu müssen. Denn: An westliche Devisen konnte der durchschnittliche Tschechoslowake unter drastischer Strafandrohung niemals kommen, denn die brauchte die Staats-Diktatur exklusiv. Analog in Ost-Berlin, der vormaligen „DDR“-Hauptstadt. An den Grenzübergangsstellen mußte man pro Tag 25,- DM Eintrittsgeld löhnen – will sagen: Man wurde und war gezwungen, 25,- Mark-West in 25,- Mark-Ost „umzutauschen“. Nur: Es war schlechterdings unmöglich, so viel „Geld“ an einem einzigen Tag zu verprassen. Es gab so gut wie nichts. Das einzige war der Buchladen am Alexanderplatz. Das komplette Erdgeschoß war vollgestopft mit Lenin, Marx, Murx, Engels & Co. in den verschiedensten Ausgaben – vom billigen Taschenbuch bis zur Luxus-Ausgabe in Goldschnitt; ich werde das niemals vergessen. Übrigens: Die vielbändige, blaue Marx-Engels-Edition ist unter Sammlern heutzutage ein Vermögen wert; Ironie der Geschichte und der Marktwirtschaft. Die obere Etage aber barg Qualität – erneute Ironie: Ich besitze heute noch eine Mathematik-Formelsammlung, die zu den besten gehört. Außerdem bekam man Lehrbücher zu Sprachen aus den sozialistischen Bruderstaaten zu kaufen, wie z.B. für Vietnamesisch. Neuerliche Ironie und Bestätigung für Qualität am Markt: Ohne freilich die erwähnten Werke als Ost-Produkte kenntlich zu machen, wurden die Bücher, natürlich für teure West-Mark, in die BRD exportiert und an den westlichen Uni-Lehrstühlen verwendet; sie waren in den 80-ern die einzigen und die besten sui generis. Und: „Unter den Linden“ gab es einen guten Noten-Laden. Jeder, der selbst musiziert, weiß, wie schweineteuer Musik-Noten sind. In Ost-Berlin konnte ich die für wenige Tapeten-Mark erstehen. Das einzige Problem danach: Den ganzen Reibach irgendwie in den Westen ausschmuggeln… Na ja.
Die „DDR“ lag gerade auf dem Sterbebett, die Mauer war etwa seit zwei Tagen auf – und ich weilte damals gerade in Berlin. Zwischen Reichstag und Potsdamer Platz herrschte damals noch Brache und war teils mit viel Gebüsch bewachsen, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Dort bot ein feiner Ossi-Pinkel aus zwei prall gefüllten Metall-Koffern nagelneue, druckfrische Tapeten-Märker feil – zum Kurs von 1 zu 15… Tja… Zugreifen, war die Devise…
Gewalt und Kriminalität. Beides trägt Bärte Olim‘scher Zeiten. Beides prägt Venezuela seit Jahrzehnten. Seit Jahrzehnten wird in der Hauptstadt Caracas gemordet, vor allem nächtens. Jede Nacht werden 10 bis 20 Menschen erschossen. Überall kann man die Schüsse krachen hören, und das Geräusch einer Kugel, die in eine Hauswand einschlägt, ist in jeder Hinsicht einzigartig. Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann man überall in Caracas sämtliche Drogen kaufen, die man lustig ist. Niemanden interessiert‘s, und diejenigen, die sich dort „Polizei“ nennen, juckt‘s auch nicht – im Gegenteil: Viele machen mit beim „Narcotráfico“ und halten die Hand auf, weil es ihnen ebenso ergeht, wie jenem Grenzer. Ich habe mich so manches Mal gefragt, wie viele Menschen eigentlich flächendeckend unter Drogen stehen.
Das hört sich jetzt alles fürchterlich an – aber das Fürchterliche ist nicht nur, aber in erster Linie die Hauptstadt Caracas und womöglich Maracaibo. Ist man in Südamerika unterwegs, vor allem als durchschnittlicher Tourist, dann muß man sich ohnehin um ein vielfaches Mehr auf alles, auf buchstäblich wirklich alle Eventualitäten vorbereiten, als es für einen schnöden Trip an den Ballermann nötig wäre. Im Ernstfall ist Deutschland weit weg, und man ist tutto completto auf sich allein gestellt. Aber man wird reichhaltig belohnt: Venezuela ist von geradezu atemberaubender Schönheit, seien es die Natur, die vielen, einsamen Traumstrände der südlichen Karibik, die Kordilleren mit den Picos Humboldt und Bolivar und der Stadt Mérida, die Gran Sabana, Roraima, die Tepuys, oder seien es so schöne, kolonial geprägte Städte wie Ciudad Bolivar am Orinoco und deren Bewohner…
Das Venezuela zugedachte Schicksal ist indes hart und klar vorgezeichnet: Die Blicke auf Argentinien und vor allem Brasilien, verdeutlichen das. Brasilien hat momentan keine legitime Regierung, sondern wird von einem korrupten Putschisten-Verbrecher, Michel Temer mit Namen, regiert. Auf „Russia Today“ war zum Thema im September vergangenen Jahres ein hervorragend recherchierter Artikel zu lesen:
https://deutsch.rt.com/amerika/40375-brasilien-nach-kalten-putsch-wallstreet/
Es ist immer das gleiche: Der Schulden-Schrott-Dollar der Yankees will partout überall auf der Welt wie ein parasitäres, letales Krebs-Geschwür weiter wuchern und fressen. Überall soll Werthaltigkeit in Besitz genommen werden, und wer sich entgegen stellt, der wird am Ende kalt gemacht. Dem Iran droht das, den Russen droht das, den Chinesen, den Südamerikanern… allen – allen, die eben Werthaltigkeit ihr eigen nennen. Erdöl gehört dazu.
Das heißt, das Erdöl gehört freilich exklusiv den USA, wie die Monroe-Doktrin besagt; der liebe Gott hat es nur irrtümlich in irgendwelchen anderen Scheiß-Ländern verbuddelt… Wie ungerecht von Ihm; so was aber auch… ;-)
Carlos
Sven Harken sagte:
Leider kommt in dem Bericht von Abby Martin nicht so recht rüber, worin das Problem hinsichtlich des Wechselkurses besteht. Hier ein statement von Mark Weisbrot, einem mit der chavistischen Regierung sympathisierenden Ökonomen.
„Well the fix exchange rate is not socialism at all…
The fixed overvalued exchange rate is not a
socialist policy.“…
„You can argue that some of the price controls are…
but the thing you can subsidize people´s food consumption
and necessities d i r e k t l y to the consumer rather than trying
to subsidize it through the exchange rate. That´s what
they´re going to have to do.“
Lies R US sagte:
Danke für diesen Bericht @Carlos.
lex sagte:
Auch von mir danke für den Bericht!
Anonymous sagte:
Die Spingerpresse und ihr ambivalentes Verhältnis zur Gewalt:
https://www.heise.de/forum/p-30697424/
bernd neidenberger sagte:
und wie kann man mit Abby Martin mailen?
hat jemand eine adresse?
danke!
Dok sagte:
Über Twitter, facebook oder den Produzenten von „Empire Files“ mike@theempirefiles.tv
Gehirnwäsche sagte:
Gut, dass es immer noch Journalisten gibt, die ihren Job ernst nehmen und richtig recherchieren, wozu es auch gehört, beide Seiten zu hören. Zu diesen ernst zu nehmenden Journalisten gehört zweifellos Abby Martin, sie agiert auf sehr hohem Niveau, sozusagen in der Premium-Liga. Dort, wo ein Julian Reichelt und ein Kai Gniffke niemals hinkommen werden.
TB sagte:
das perverse daran ist aber, dass unsere reichelts und gniffkes auch noch 100 tausende von euros im jahr dafür kassieren uns für dumm zu verkaufen, dass ist echt der gipfel der frechheit
Anonymous sagte:
Diese Frau ist nicht nur klug und mutig, sie sieht auch noch sehr gut aus. Ihre „Empire Files“ sind alle sehenswert.