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Kurzhaarschnitt ist ein Blogger und Mitbürger, dessen Ansichten und Anschauungen man als bürgerlich, staatstragend, politisch in der Nähe von CDU, SPD und Grünen (relevante Unterschiede gibt es zwischen diesen Parteien bekanntlich nicht) einordnen kann und der sich deshalb als gutes Beispiel für die sogenannte Mitte der Gesellschaft anführen lässt.

Shaun-The-Sheep525Kurzhaarschnitt eignet sich aus diesem Grund in besonderem Maße als Studienobjekt, wenn man verstehen will, wie diese Mitte tickt. In einer Zeit, in der ein Drittel bis zur Hälfte der Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr an den staatlich organisierten Selbstentmündigungen (Wahlen) teilnimmt, ist es die verbliebene staatstragende Mitte, die den einzig möglichen, aus der Gesellschaft kommenden Impuls Richtung Politik setzt – oder von sich glaubt, diesen Impuls setzen zu können. Abseits dieses in Form von Wahlen geregelten, faktisch aber nahezu irrelevanten Einflusses der Bürger auf die Politik, gibt es nur noch fremde Mächte, Staatsräson, Lobbyisten, Staats- und Konzernmedien, Umfragen und die Straße.

Ein aktueller Beitrag von Kurzhaarschnitt gibt deshalb aufschlussreichen Einblick in die Denke der bürgerlichen Mitte, die sich einreden lässt, die Politik dieses Staates mitzubestimmen. Sie sind die letzten, die noch im Kinderkarussel sitzen und sich tatsächlich einbilden, mit dem Steuer, dass sie in der Hand halten, zu lenken.

Kurzhaarschnitt will etwas gleichermaßen Persönliches wie Staatstragendes zum Flüchtlings-Diskurs beitragen. Etwas, mit dem er sich selbst vergewissern und anderen beweisen kann, Teil der vermeintlich empathischen und aufgeklärten bürgerlichen Mitte zu sein. Er erzählt deshalb von Oma und Opa. Eine Geschichte, die so banal und typisch für viele Deutsche ist, weil wir alle von den Folgen des Zweiten Weltkriegs in ähnlicher Weise betroffen waren.

Kurzhaarschnitt1525Die kleine Geschichte, die jeder jetzt gelesen haben sollte, bevor wir fortfahren, hat nicht nur 141 anderen Bloggern gefallen, sie wurde vielfach getweetet, geshared und von den Krautreportern („weil der Text so wahnsinnig gut ist“ ) oder dem BILDblog empfohlen.

Diese Geschichte und ihre Beliebtheit sagt also sehr viel über Befindlichkeiten und Denke der digitalen Mitte abseits der Mainstreammedien aus, deshalb lohnt es sich, sie zu analysieren, um Rückschlüsse ziehen zu können.

Was kritischen Geistern schon beim ersten Lesen auffallen sollte, ist die Tatsache, dass die Ursachen des Elends von Oma und Opa in keinster Weise thematisiert werden. Der Krieg kam über sie wie ein Naturereignis. Opa war nicht etwa Täter, der in Russland einmarschierte und dort Menschen ermordete, Opa war nur ein Kriegsheimkehrer ohne jede Vorgeschichte, der mit „seinen Erinnerungen an die russische Gefangenschaft nicht zurecht kam.“

Er [Opa] kam als Kriegsheimkehrer sein Leben lang mit seinen Erinnerungen an die russische Gefangenschaft nicht zurecht und betäubte sich mit Schnaps.

Und die Oma? Auch von Omas Leben erfahren wir erst ab 1945, als sie „von russischen Soldaten vertrieben wurde.“

Ihr sowieso schon schweres Leben wurde durch den zweiten Weltkrieg nicht leichter, und im Januar 1945 noch viel schwerer, als sie nur mit ihrer Kleidung und einem einzigen Paar Schuhe aus ihrem Heimatort von russischen Soldaten vertrieben wurde. Sie und der Rest der Dorfbewohner mussten flüchten.

Dass der Autor nicht zwischen Flucht und Vertreibung unterscheiden kann – wir wollen großzügig darüber hinwegsehen. Ob es sich im Fall seiner Großeltern um das eine oder andere handelte, weiß er vermutlich selbst nicht.

Wir konzentrieren uns lieber auf die bewusste Ausblendung der gesamten Vorgeschichte, die überhaupt erst zu Krieg, Flucht und Vertreibungen führte. Bereits gestern haben wir diesbezüglich um 18.00 Uhr einen Kommentar unter den Beitrag eingestellt. Bereits vorausahnend, dass er nicht veröffentlicht würde, haben wir ihn per Screenshot gesichert:

Unser Kommentar, der von Kurzhaarschnitt nicht veröffentlicht wurde

Guter Artikel – aber jetzt denk einmal ein kleines Stück weiter!

Wie konnte es passieren, dass die Generation deiner Oma gegen Menschen in den Krieg zog, die Ihnen nichts getan hatte? Warum krepierte Opa vor Stalingrad? Warum massakrierte ein anderer Opa Frauen und Kinder in Distomo?
Sind die alle „böse“ auf die Welt gekommen?
Was musste passieren, damit sie zu Verbrechern wurden?

Anstatt dich selbst und deine Oma zu bemitleiden, ist es deine Aufgabe als Nachgeborener, der von einem solchen Schicksal BISHER verschont blieb, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht erneut passiert.
Meinst du nicht?

Unser Kommentar widerspricht offensichtlich keiner Netiquette, hinterfragt aber genau die Punkte, die wir gerade aufgeworfen haben und wurde deshalb von Kurzhaarschnitt nicht freigeschaltet. Stattdessen liest man vorwiegend einfältige Kommentare, wie „wunderbar“ doch die Geschichte sei.

Kurzhaarschnitt und die, die diese wunderbar einfältige Geschichte verbreiten, stehen symptomatisch für die blökenden Schafe der bürgerlichen Mitte, die weder die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern mit Blick auf die Ursachen reflektieren wollen, noch die Lehren ziehen können, die diese Geschichten für ihr eigenes Leben haben sollten – wenn sie nicht selbst zu Opfern werden wollen.

Sie werden niemals verstehen, wie, von wem und zu welchem Zweck Menschen manipuliert und aufeinandergehetzt werden.

Damit machen sich Kurzhaarschnitt und Co – die zweifellos für eine breite unmündige Bevölkerungsschicht stehen – nicht nur selbst zu lernunfähigen und lernresistenten Schafen, die man genauso zur Schlachtbank führen wird, wie ihre Großeltern, sie sorgen auch dafür, dass ihre eigenen Großeltern vollkommen sinnlos Leid verbreiteten und Leid erlitten haben. Denn dieses Leid des Zweiten Weltkriegs kann nur den einen Sinn in der Genese der Menschheit haben, dass man daraus die richtigen Lehren für die Zukunft zieht. Wer unfähig und geradezu unwillig ist, diese Lehren zu ziehen, wer sich stattdessen selbstdarstellerisch, emotional und um Beifall heischend als vermeintlicher Flüchtlingsfreund geriert, pinkelt nicht nur auf die Gräber der eigenen Eltern und Großeltern, er pinkelt dem, was Menschsein im Kern ausmacht, mitten ins Gesicht. Er ist und bleibt ein blökendes Schaf.