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ard_logoDie ARD sendet heute Abend mit „Terror – Ihr Urteil“ die medial aufwändige und im Vorfeld vielfach beworbene Inszenierung eines menschenverachtenden Gedankenspiels. Die Zuschauer sollen entscheiden, ob ein Kampfpilot sich durch den Abschuss eines von Terroristen entführten Passagierjets und dem damit verbundenen Tod Unschuldiger zur vermeintlichen Rettung einer Vielzahl anderer Unschuldiger selbst schuldig gemacht hat.

Hinter der pseudo-aufklärerischen Inszenierung lauert ein perfides psychologisches Kalkül: Die Bürger werden zu Komplizen gewalttätiger Eliten gemacht, die in Wahrheit überhaupt erst die Ursachen für den Terror (Krieg des kleinen Mannes) gelegt haben. Die Ursachen des Terrors aber sollen im inneren Konflikt um den Abschuss des Flugzeugs aus der Wahrnehmung verschwinden und die Bürger für militärische Handlungen emotional geöffnet werden – selbst wenn diese Handlungen eigene, unschuldige Opfer fordern. Die Botschaft: Wir, die Guten, werden vom Bösen bedroht und müssen uns mit allen Mitteln dagegen wehren – wir dürfen selbst zum Bösen gegen Unschuldige greifen, weil wir – die Guten – ja nur noch Schlimmeres verhindern wollen.

Es ist kein Zufall, dass die ARD hier nicht auf ein existierendes reales Szenario zurückgreift, sondern sich eine fiktive und besonders überzogene Situation des Autors und Juristen Ferdinand von Schirach zur Vorlage genommen hat, die seit dem letzten Jahr in deutschen Theatern gespielt wird. Sein Stück hat bisher 164.300 Schöffen gefunden, die zu ca.60% für Freispruch plädierten, wenn man der entsprechenden Webseite glauben schenkt. Darum soll es hier aber nicht gehen.

Tatsächlich gibt es eine durchaus vergleichbare reale Vorlage. Beim Massaker in Kundus am 4. September 2009 – angeordnet von einem deutschen Bundeswehroberst – werden weit über 100 afghanische Zivilisten getötet, darunter viele Kinder. Der Verantwortliche Oberst Klein rechtfertigte dieses Massaker damit, dass er davon ausgegangen sei, dass es sich in der Nähe der damals von Taliban entführten Tanklaster ausschließlich um Kombattanten handelte und dass diese die entführten Fahrzeuge für Terroranschläge benutzen könnten.

Obwohl die von ihm angeforderten US-Kampfpiloten mehrfach anboten, mit einer „Show of Force“ die Menschen vor dem Bombardement von den Tanklastern zu vertreiben, hat Klein dies abgelehnt und sogar den Einsatz höherer Sprengkraft gefordert, als die US-Bomber letztlich eingesetzt haben. Ihm ging es nicht allein darum, den Missbrauch der Tanklaster zu verhindern, sondern darum, einen möglichst hohen Blutzoll unter den vermeintlichen Taliban anzurichten.

Dass die ARD dieses realistische Szenario nicht in das Urteil der Zuschauer stellt, kann niemanden verwundern. Zu offensichtlich wäre die Diskrepanz der Sicht der Mehrheit der Bürger zur Linie von Regierung und Bundeswehr, zu offenkundig die drängenden Fragen nach dem Sinn des Krieges in Afghanistan generell. Wir, der Westen, sind in der realen Welt in erster Linie Täter und auch jene, die sich am 11. September 2001 in Passagierflugzeugen auf die USA stürzten, konnten sich auf geo- und wirtschaftspolitische Verbrechen des Westens in islamischen Staaten berufen.

Das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wurde bekanntermaßen zügig eingestellt, der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung ist heute Vorsitzender des CDU-Freundeskreises im Fernsehrat des zweiten deutschen Staatssenders ZDF und der Bundesgerichtshof des „Rechtsstaats“ Deutschland hat den Angehörigen der Opfer des Massakers gerade erst Anspruch auf Schadensersatz abgesprochen. So weit zur Realität.

In Schirachs Theaterstück erscheinen „wir“ als die Bedrohten. Attackiert von ruch- und vor allem geschichtslosen Terroristen, sollen die Zuschauer „Richter“ spielen und das Töten von Unschuldigen zur vermeintlichen Rettung von noch mehr Unschuldigen rechtfertigen. Es muss schon ein ganzes Fußballstadion mit 70.000 Besuchern herhalten, um die Zuschauer im Theater – oder jetzt eben in der ARD – moralisch auf „den richtigen“ Weg zu zwingen. Moralisch richtig heißt: Rechtfertige das Töten! Wenn es später einmal in einem vergleichbaren Fall in der Realität nur 100 waren, wirst du auch das akzeptieren.

Das Schlussplädoyer enthält am Ende die eigentliche Botschaft

ard_terror_urteil_plaedoyer

Wir müssen begreifen, dass wir im Krieg sind.
Wir haben es uns nicht ausgesucht,
aber wir können es nicht ändern.