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Welt_Kampf2Mehr als 70 Jahre und damit bald 3 Generationen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die herrschenden Eliten immer noch ein verkrampftes Verhältnis zu einem Buch, das in der heutigen Zeit noch absurder auf jeden halbwegs gebildeten Menschen wirkt, als es im vergangenen Jahrhundert der Fall gewesen sein musste. (Andererseits wenn man heute wieder Leute wie Sarrazin von vererbter Dummheit schwadronieren hört, kommt man schon mal ins Grübeln, ob er tatsächlich die der Anatolier als ethnische Gruppe meint oder die der eigenen „Blutlinie“ beweist.)

In jedem Fall ist das Verhältnis der politischen Eliten zu Hitlers Opus magnum ein aussagekräftiger Indikator für deutsche Befindlichkeiten und Petra hat im Propagandamelder anlässlich eines Artikels in der Welt einen lesenswerten Kommentar geschrieben, den wir deshalb hier auf die Frontseite übernehmen.


Der Kampf mit „Mein Kampf“

Autor: petra

Es gibt kaum etwas Langweiligeres, über das so viel geredet wurde, wie über Hitlers „Mein Kampf“.

Das Interesse der Rechtsextremen bestand meist darin, es zu besitzen, weil das Buch eher endloses Gelaber als schmissige Parolen bietet. Das mit dem Lesen, das schenkte man sich daher meist.

Ergo: das Interesse derer, die es kauften, obwohl es verboten war, lag eben im Reiz des Verbotenen.

Das Verbot des Buches „Mein Kampf“ hatte seine Ursache im gleichen Irrtum, der der Veröffentlichung des Buches „Was ist koscher“ (Paul Spiegel) zu Grunde liegt.

Herr Spiegel schrieb sein Buch in der Intention, Vorurteile über das Judentum abzubauen.
Das Problem dabei: wer Vorurteile gegen die Juden hat, der wird ein erklärendes Buch eher nicht kaufen oder lesen. Und wenn er es tut, wird eine Erklärung jüdischer Traditionen auch nichts an den Vorurteilen ändern.
Das Buch wurde also von jenen gekauft, die keine Vorurteile haben und sich einfach mal gerne ein wenig informieren.

Umgekehrt bei „Mein Kampf“. Man verbot das Buch, aus Angst, welche Folgen es haben könnte.
Wer für die Ideologie empfänglich war, der konnte das Buch in vielen Ländern Europas kaufen und tat es auch. (Inklusive der Enttäuschung nach den ersten Seiten des Schinkens). Wer demokratisch, freiheitlich und menschenfreundlich dachte, wäre sicher nicht durch das Lesen zum Neo-Nazi geworden.

Aber die Zeit schreitet voran, das Urheberrecht fiel. Panik machte sich breit und man kam auf die Idee: eine kommentierte Ausgabe muss ins Land. Denn der Leser muss GEFÜHRT werden, auch wenn der Führer das nach Möglichkeit bitteschön nicht mehr machen sollte.

Kommentierte Bücher können spannend sein. Wer Gibbons „Aufstieg und Fall des römischen Reiches“ gelesen hat, weiß, wovon ich spreche.
Reichlich Kommentare zur Geschichte, die unter Historikern als „Kaffeehausgeplauder“ bekannt sind. Im Endeffekt: Anekdötchen.

Aber was man sich bei „Mein Kampf“ leistete, sprengt jeden Rahmen,
Das Buch selbst nimmt weniger als ein Viertel des Textes in Anspruch. Mehr als 3 Viertel des Buches besteht aus Händchenhalten, Führen des Lesers, damit er ja nicht auf böse Gedanken kommt.
Offenbar hat man nicht gerade großes Vertrauen in das deutsche Bildungssystem.

Doch jetzt aktuell schießt man den Vogel ab:
Ich hätte gerne eine unkommentierte Ausgabe gelesen. Weil ich zum einen gut informiert bin und keine Erläuterungen brauche. Zum anderen schätze ich es nicht, wenn man mir mit dem Holzhammer erzählt, was ich von irgendwas zu halten habe. Und generell: weil ich mir einfach gerne selbst ein Bild mache.

Ganz im Sinne von Leopold von Ranke: immer zurück zur Quelle!

Ich habe schließlich auch 13 Bände Prozessprotokolle des Nürnberger Prozesses gelesen, ohne dass ich Görings Geschwafel von „Siegerjustiz“ je in meinen Sprachgebrauch oder mein Denken übernommen hätte.

Nun gibt es sicher noch mehr Menschen, die mit der gleichen Motivation wie ich dieses Buch kaufen würden. Sicher gibt es auch Leute, die es aus anderen Gründen erstehen würden. Aber: ganz sicher ist: es gibt einen Markt für eine unkommentierte Ausgabe und daher war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand das gefallene Urheberrecht und das Interesse in Einklang bringt und sich denkt: mit einer unkommentierten Ausgabe läßt sich Geld machen.

Und richtig: ein Verlag, dessen Veröffentlichungen sicher mehr als nur Geschmackssache sind, kündigt eine unkommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“ an.

Und wie reagiert man:
Man möchte das unter Bezug auf das Gesetz „Volksverhetzung“ verbieten.
Kommentierte Ausgabe: legal
Unkommentierte Ausgabe: illegal

Das ist schon ein Klops. Auf ZDF Info lief am 26.05.2016 ein ZDF History zum Thema mein Kampf, mit dem Satz:
Deutsche können „Mein Kampf“ im Internet herunterladen. Illegal.

Der Auslöser für diesen Artikel war ein Beitrag in der „Welt“.

Welt_Kampf1Hier wird es so richtig spaßig:

„Allerdings ist das herausgeworfenes Geld, denn exakt die nachgedruckte Ausgabe ist völlig kostenlos als PDF-Dokument bei der US-amerikanischen Organisation archive.org herunterladbar. Seit dem irreversiblen Auslaufen der Urheberrechte ist das auch legal.“

Legal – Illegal – Scheißegal?

Aber wenn ihr Kinderchen schon ein Buch lesen wollt, von dem wir nicht wollen, dass ihr es lest, weil wir euch für unterbelichtete Idioten halten (wir wissen es genau, denn wir sind die Parade-Opfer dieses Bildungssystems), dann ladet euch das gefälligst von einer US-amerikanischen Website herunter, damit ihr gleich auf die Liste der Bösen kommt.

Spätestens an diesem Beispiel sollte jeder erkennen, was „enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und amerikanischen Geheimdiensten“ heißt: Download bei den Amerikanern=Liste des Verfassungsschutzes.

Übrigens ist auch „die Welt“ sich da nicht so sicher, ob das Ding illegal ist, denn es gibt ein Urteil des BGH, das besagt: ein Buch, das vor unserer „Verfassung“ entstand, kann schwerlich gegen unsere Verfassung verstoßen.

„das höchste deutsche Zivilgericht, der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, 1979 in einem umstrittenen, aber gültigen Urteil festgestellt, dass „Mein Kampf“ als „vorkonstitutionelle Schrift“ nicht verfassungswidrig sein könne; deshalb wurde der Handel mit antiquarischen Exemplaren seinerzeit nicht untersagt.“

Wirklich krank ist: die Amerikaner scheinen da ein wenig entspannter zu sein. Die Hetzschrift von Henry Ford „The international Jew“ kann man bei Amazon bestellen. Ganz unkommentiert und auch ohne Zusatz: „ Wissenschaftlicher Quellentext“.
Krank ist es, weil das Buch von Ford den Judenhass viel deutlicher zum Ausdruck bringt, als „Mein Kampf“. (Deshalb war der große amerikanische Wirtschaftsheld ein Fan Hitlers und hat diesen auch finanziell unterstützt). Aber Pscht!

Und was mich gerade so richtig sauer macht: ein Land, in dem man Menschen die Hakenkreuze tragen in der Ukraine chronisch übersieht, das verbietet ein historisches Buch. Es ist nur ein Buch. Bücher töten nicht. Bücher zensieren nicht. Bücher werfen keine Opposition aus dem Fenster.

Das Verbot eines Buches (noch dazu wirklich schlecht geschrieben und fade) wird kein menschenverachtendes Gedankengut zerstören. Oder verhindern.

Weiter: wer Neo-Nazismus befürchtet, der muss dafür sein, dass möglichst viele Menschen das Buch lesen. Denn nur so ist man gewappnet. Man sieht im Rückblick die Zeichen, die sich in dem Buch finden, für das, was später geschah.

Auf der anderen Seite: seit ich die mediale Hetzjagd auf Russland und die Reaktionen der Menschen darauf erlebt habe, frage ich mich nicht mehr, wie konnten damals so viele Menschen so bereitwillig „Heil“ rufen.
Spätestens seit ich die Positionierung gegenüber Russland und der Ukraine ab Januar 2014 erlebt habe, weiß ich, wie ein Volk besoffen von Propaganda gemacht wird!

Ich bin mir ziemlich sicher, dass man, da man es wahrscheinlich nicht verbieten kann, das Buch in der Buchhandlung nur „vorbestellen“ kann. Damit der Name dann doch noch registriert wird.
Ist Freiheit nicht schön?